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Wie unbewusste Schemas unser Verahlten beeinflussen
von Marlene Vogt, 12. Juli 2021
Kennen Sie das? Sie befinden sich in einer „neutralen Stimmung“ und plötzlich „triggert“ eine Person oder eine Situation in Ihnen etwas, dass Sie sich augenblicklich provoziert, wütend, oder bedroht fühlen.
Weshalb ist das so? Und wie gehen Sie am besten damit um?
Treffen Sie als Person auf eine Situation oder ein Ereignis, nehmen Sie diese immer subjektiv wahr und bewerten sie innert Millisekunden als neutral, positiv, oder negativ. Bei den ersten beiden Varianten ist Ihre Reaktion entsprechend positiv oder neutral, das heisst, es entstehen entweder positive oder neutrale Gefühle. Findet eine negative Bewertung statt und wird dabei noch eine frühere Erfahrung aktiviert, dann schalten sich in unserem Hirn die normalen Denkprozesse aus und man reagiert in nullkommanichts hoch emotional. Bei diesem Vorgang werden sogenannte Schemas in uns aktiviert. Schemas helfen uns, Situation schnell und intuitiv zu erfassen, ohne jedes mal darüber nachdenken zu müssen. Sie werden in der Kindheit erworben und sind Muster aus Erinnerungen, Emotionen, mentalen Prozessen und Körperempfindungen und steuern unser Verhalten mehrheitlich unbewusst. Man könnte sie auch als Fussabdrücke in unserem Gehirn bezeichnen. In aller Regel sind sie hilfreich. Es gibt aber Situationen, in welchen uns diese Schemas in die Quere kommen und in uns sehr unangenehme Gefühle erzeugen und sogar zu irrationalen Handlungen verleiten.
Ein Beispiel: Sie wollen sich im Büro einen Kaffee holen und es treffen fast gleichzeitig mit Ihnen noch zwei weitere Kollegen im Kaffeeraum ein. Obwohl Sie als zweiter an der Reihe gewesen wären, drängt sich Kollege Nummer drei vor und lässt seinen Kaffee raus, ohne sich dafür zu erklären; geschweige denn zu entschuldigen. Sie merken, wie bei Ihnen unmittelbar Ärger aufsteigt, über diesen ungehobelten Kerl und Sie überlegen wild hin und her, ob Sie etwas sagen sollen oder nicht. Sie ringen innerlich mit sich, weil Sie sich einerseits über das Verhalten des „Vordränglers“ ärgern, und anderseits finden Sie es penibel, dass Sie nicht einfach souveräner damit umgehen können und dass Sie dieses eigentlich banale Ereignis dermassen nervt. Ohne Ihr Wissen, wurde durch das Verhalten des Kollegen bei Ihnen ein Schema aktiviert, welches diese starken, negativen Gefühle freisetzt. Jeder Mensch verfügt über eine Sammlung verschiedener Schemas, die je nach Situation aktiviert werden. Sobald Sie sich verallgemeinernde Sätze sagen hören wie: „immer kommen die anderen zuerst, nie kümmert sich jemand um mich“ oder „alle anderen sind schöner, intelligenter, erfolgreicher“ etc. – Sie dürfen hier einsetzten was Sie wollen – können Sie davon ausgehen, dass bei Ihnen ein Schema aktiviert wurde. Die weitverbreitetsten Schemas sind folgende (vgl. Beck 1983, Beck et al. 1999):
- Schema der Leistungsorientierung: die Vorstellung, dass man nur etwas wert ist, wenn man etwas leistet und / oder diese Leistung perfekt sein muss. Trigger bei diesem Schema können fehlerhafte, ungenügende oder fehlende Leistung sein.
- Schema der soziale Bewertung: die Angst, im Vergleich mit anderen schlechter abzuschneiden und bewertet zu werden. Trigger können sozialen Situation sein, wenn man z.B. einen Vortrag halten soll, neu zu einem Team stösst, oder sich bewirbt, oder Situationen, in denen man die Aufmerksamkeit anderer weckt, wenn man z.B. zu spät kommt, das vermeintlich falsche Kleid trägt, oder sich die Partnerin scheinbar daneben benimmt.
- Schema der Gerechtigkeit: hierbei geht es um das Bedürfnis von anderen fair und gerecht behandelt zu werden. Trigger sind z.B. der Eindruck, übergangen worden zu sein, benachteiligt oder nicht im rechten Licht betrachtet zu werden.
- Soziales Bindungsschema: dabei geht es um den eigenen Stellenwert bei anderen und um die Frage ob man von anderen Menschen geliebt, geachtet und geschätzt wird. Dieses Schema ist sehr zentral im Umgang mit anderen und basiert auf den ersten Bindungserfahrungen mit der eigenen Mutter oder anderen wichtigen Bezugspersonen. Trigger sind z.B. wenn man kritisiert wird, der Partner zu spät zur Verabredung kommt, oder nicht mit einem zusammenziehen will.
- Kontrollschema: das Bedürfnis mit seinem Handeln Wirkung zu erzeugen, das Gefühl haben, man kann etwas tun und Einfluss auf seine Geschicke nehmen. Trigger sind Situationen, in denen man von anderen (real oder vermeintlich) eingeschränkt wird, sich hilflos oder inkompetent fühlt, oder im eigenen Aktionsradius beschnitten wird.
- Schema der Unabhängigkeit und Autonomie: dabei geht es darum, alle Aufgaben und Anforderungen ohne fremde Hilfe erledigen zu können. Trigger sind bei diesem Schema z.B. Situationen, bei denen man auf adere angewiesen ist, wenn Ansprüche an einen gestellt werden, oder wenn man sich aufgrund einer Rolle entsprechend konform verhalten soll.
Bei unserem Beispiel oben könnten also gerade zwei Schemas aktiviert worden sein: nämlich das der Gerechtigkeit und das der Kontrolle. Sie haben nun verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Sie fressen die ganze Sache in sich hinein und ärgeren sich stumm weiter, oder Sie geben ihrem Ärger Ausdruck und konfrontieren Ihren Kollegen damit. Egal wie Sie sich entscheiden: das Ereignis wird Sie noch länger – Stunden, Tage, oder gar Wochen – emotional umtreiben, wenn Sie daran denken. Ausser, Sie versuchen, aktiv etwas dagegen zu tun. Vier Faktoren erweisen sich dabei als hilfreich:
- Seine eigenen Schemas kennen lernen. Schauen Sie sich die obige Aufzählung an und versuchen Sie heraus zu finden, welche Schemas bei Ihnen negativ aktiviert werden könnte.
- Versuchen Sie, die tieferliegenden Gefühle hinter der kognitiven Einschätzung einer Situation zu erkennen. Sobald Sie diese benennen können, verlieren Sie ihre Macht. Echte Gefühle tauchen rasch auf und verschwinden meist ebenso rasch wieder. Im Gegensatz zu Stimmungen, welche langanhaltend sind und im Hintergrund „wabbern“. Sobald Sie die Sache beim Namen nennen, verliert sie ihre Bedrohlichkeit, wird konkret und damit „behandelbar“. Versuchen Sie also herauszufinden, wie eine Situation auf sie gewirkt hat und was Sie dabei verspürt haben. Gemäss dem Stressmodell von Lazarus (1981) gibt es vier Möglichkeiten, wie wir eine Situation wahrnehmen (Kognition) und diese emotional erleben (Gefühle).
- Empfinden wir eine Situation als bedrohlich, spüren wir Angst
- Empfinden wir eine Situation als Verlust, verspüren wir Traurigkeit
- Empfinden wir eine Situation als Provokation , verspüren wir Ärger
- Empfinden wir eine Situation als Herausforderung, werden wir aktiviert (Flucht, Angriff)
- Setzten Sie sich aktiv mit der Situation auseinander und „challengen“ Sie sie. Fragen Sie sich, was wirklich mit der Situation und was mit Ihnen und Ihrer Bewertung zu tun hat. Welche Sätze und Wörter gehen Ihnen dabei durch den Kopf (immer, nie, alle anderen, ungerecht etc.)? Was für Bilder, Erinnerungen, oder Gefühle von früher werden aktiviert? Wenn Sie sich die Trigger-Situation genau anschauen, dann werden Sie feststellen, dass z.B. Ihre Verallgemeinerungen kaum zutreffend sind. Vielleicht auf diese eine Situation schon; nicht aber generell.
- Geben Sie Gegensteuer und lenken Sie sich mit Aktivitäten ab. Dies nennt man „aktive Selbstberuhigung“. Bemühen Sie sich um positive Erlebnisse, bewegen Sie sich, hören Sie entspannende Musik, schauen Sie sich einen amüsanten Film an etc., um wieder mehr positive Gefühlezu empfinden.
Zusammenfassung: Schemas sind alte Erlebensmuster, welche uns helfen, Situationen schnell und intuitiv wahrzunehmen. Werden negativ behaftete Schemas aktiviert, reagieren wir auf scheinbar harmlose Ereignisse mit starken Emotionen. Um besser mit diesen umgehen zu können und uns nicht zu irrationalem Verhalten verleiten zu lassen, ist es sinnvoll, sich aktiv mit den eigenen Schemas auseinander zu setzten. Dies hilft ihnen längerfristig, adäquater und souveräner damit umzugehen und sich emotional kompetenter zu verhalten.
Wie kommt es zur Entfremdung in Paarbeziehungen und was kann man dagegen tun?
von Marlène Vogt, 27. Februar 2020
In der Schweiz bleiben Paare im Durchschnitt 15 Jahre verheiratet. Fast jede zweite Ehe endet in einer Scheidung. Der meist genannte Grund für eine Trennung ist „Entfremdung“. Wie aber enfremdet man sich in einer Beziehung? Und was kann man dagegen tun?
Klassischerweise spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle, gleich bleibt sich jedoch fast immer der Verlauf:
- Grundauslöser für eine Trennung ist gemäss Bodenmann (2002) fast immer Alltagsstress. Das mag profan klingen, ist es aber nicht. Die Alltagsbelastungen in Beziehungen führen dazu, dass Paare weniger gemeinsame Zeit zusammen verbringen und somit auch weniger schöne Erlebnisse zusammen erfahren.
- Dies wiederum führt zu einer Verschlechterung der Kommunikation. Man bespricht oft nur noch sachliche Themen (wer bringt die Kinder in die Krippe, wer organisiert die nächsten Ferien) und lässt den Partner oder die Partnerin nicht mehr – oder weniger – daran teilhaben, wie es einem wirklich geht. Es findet weniger emotionale Kommunikation und Austausch zwischen dem Paar statt.
- Stress erhöht zudem das Risiko somatische oder psychische Probleme zu entwickeln (Rückenschmerzen, depressive Phasen etc.), was eine zusätzliche Belastung für die Beziehung darstellt.
- Und als letzter Faktor kommt dazu, dass wir unter Stress weniger freundlich, souverän und grosszügig reagieren. Wir zeigen mehr unserer problematischen Persönlichkeitsanteile, welche wir unter normalen Umständen gut unter Kontrolle haben (Rigidität, Gereiztheit, weniger Empathie, Zynismus, Geiz etc.). All diese Faktoren führen dazu, dass sich Partner entfremden und sich fragen, was aus dem Gegenüber geworden ist, das man doch einmal geliebt hat und mit dem man zu Beginn der Beziehung so glücklich war.
Auf diese Weise kommt es zu einer schleichenden Unzufriedenheit in der Paarbeziehung (man möchte es doch schön haben miteinander; vom Partern gehört, verstanden und geliebt werden), die oft lange nicht bemerkt wird. Dies wiederum führt dazu, dass man sich anderen Dingen zuwendet (Karriere, Hobbys), noch weniger gemeinsame Zeit verbringt und damit die Unterhöhlung der Partnerschaft zusätzlich begünstigt. Kommt in diesem Stadium der Paarbeziehung ein Auslöser von aussen, wie z.B. eine Aussenbeziehung dazu, trennen sich fast 50% der betroffenen Paare.
Was also tun? Eines vorweg: Wenn man nichts für die Beziehung tut, dann nimmt die Zufriedenheit in der Paarbeziehung kontinuierlich ab. Dies haben unter anderem Gottman et al. (1999) und Bodenmann (1995) in verschiedenen Längsschnittssudien untersucht. Die Liebe eines Paares muss also konstant genährt und gepflegt werden damit die Paarbeziehung auch langfristig erfüllend und schön bleibt. Dazu braucht es drei Dinge: Zeit, Wissen und Kompetenzen.
- Miteinander Zeit verbringen: Überlegen Sie sich, was Sie gerne gemeinsam tun als Paar oder früher getan haben, als Sie vielleicht noch keine Kinder hatten. Schaffen Sie sich bewusst Auszeiten, in denen Sie mit ihrer Partnerin etwas Schönes tun. Versuchen Sie, sich dann wirklich aufeinander einzulassen, indem Sie Alltagsthemen wie Stress im Beruf, Sorgen mit den Kindern etc. hinter sich lassen. Sorgen Sie für Intimität, sowohl auf emotionaler Ebene, in dem Sie sich selbst öffnen und Ihrem Partner anvertrauen was Sie bewegt und wie es Ihnen geht, als auch auf körperlicher Ebene. Falls die Sexualität ein schwieriges Thema ist, verbringen Sie gemeinsame körperliche Zeit, in dem Sie sich z.B. im Alltag liebevoll berühren, sich wieder einmal ausgiebig küssen, oder ganz ohne Druck nackt nebeneinander legen und sich nur streicheln.
- Wissen über das Funktionieren von Beziehungen: Um zu verstehen, was in einer Beziehung passiert und welche Phasen sie durchlaufen, ist es sinnvoll, sich diesbezügliches Grundwissen anzueignen. Interessanterweise sind viele Menschen der Ansicht, dass eine Beziehung einfach funktioniert, wenn man den oder die „richtige“ Partner/in gefunden hat. Das ist natürlich Humbug. Für fast alles andere in unserem Leben besuchen wir Kurse und lassen uns ausbilden, bloss bei Beziehungen haben wir die romantische Vorstellung, dass diese ganz magisch von selbst funktionieren.
- Kompetenzen erlernen: Um eine gute Paarbeziehung zu führen muss man wissen, wie man gut mit seinem Partner kommunizieren kann, wie man Konflikte mit seiner Partnerin austrägt, ohne dass dabei zu viel Geschirr zerschlagen wird und wie man als Paar Probleme effektiv löst. Und man muss sich selbst gut genug kennen, damit man weiss, wie man z.B. unter Druck und Stress reagiert. Das sind alles Kompetenzen, die man erlernen kann und welche die wenigsten Menschen einfach so beherrschen.
Zusammenfassung: Die Zufriedenheit in Paarbeziehungen nimmt kontinuierlich ab, wenn man kein Gegensteuer gibt. Hauptsächlich dafür verantwortlich ist Alltagsstress, der die Beziehung langsam „erodiert“. Alltagsstress führt dazu, dass Partner weniger Zeit miteinander verbringen und weniger schöne Erlebnisse miteinander teilen. Ihre Kommunikation wird sachlicher und beschränkt sich auf funktionale Aspekte. Dies führt zu mehr Distanz zwischen den Partnern, was häufig mit somatischen oder auch psychischen Beschwerden einher geht. Unter Stress kommen zudem unsere weniger schmeichelhaften Charakterzüge zum Vorschein, welche zu einer zusätzlichen Entfremdung und dem Gefühl führen können, man hätte sich im Gegenüber getäuscht, die falsche Person geheiratet, etc. Die dabei entstehende Unzufriedenheit – nicht selten gepaart mit einem externen Auslöser – führt dazu, dass sich Paare oder einer der Partner in diesem Stadium der Beziehung mit der Frage nach einer Trennung auseinander setzen. Damit es gar nicht erst soweit kommt, gilt es drei Punkte zu beachten:
- Je mehr gemeinsame Zeit ein Paar verbringen kann, desto mehr Möglichkeiten entstehen, gemeinsam Schönes zu erleben.
- Je mehr Menschen über das Funktionieren von Beziehungen wissen, desto besser sind sie in der Lage, dieses Wissen anzuwenden.
- Je mehr das Wissen angewendet wird, desto kompetenter werden Partner darin zu kommunizieren, gemeinsame Konflikte zu lösen und Probleme anzugehen. Dies erhöht die Zufriedenheit in der Partnerschaft, schafft Nähe und hält die Liebesgefühle langfristig am Leben.